Die Szene hatte etwas Groteskes. An der offiziellen Medienkonferenz vor dem Spiel sassen Vladimir Petkovic und Granit Xhaka im Presseraum des Olympiastadions in Baku und sahen … keine Medien.
In Zeiten von Corona findet alles digital statt. Spieler und Trainer sind im leeren Stadion, die Medien sitzen ein paar Kilometer entfernt in ihren Hotelzimmern in der Innenstadt von Baku. Sie stellen ihre Fragen über ein von der UEFA zur Verfügung gestelltes Portal, mit allen technischen (Ton-)Problemen, die eine solche Veranstaltung so mit sich bringt.
In solchen Momenten ist die Normalität noch weit weg. Selbst in Baku, wo das Leben sonst fast den gewohnten Lauf nimmt. Mit bis weit in die Nacht geöffneten Restaurants, und mit Menschen, welche keine Schutzmasken mehr tragen müssen. Für ein bisschen Normalität sorgt die UEFA erst am Spieltag. Rund 30'000 Fans dürfen das Spiel zwischen der Schweiz und Wales im Olympiastadion sehen. Der imposante Kessel mit Leichtathletikbahn, hochgezogen vor sechs Jahren für über 700 Millionen US-Dollar, bietet eigentlich rund 60'000 Zuschauern Platz.
Ob die erlaubten 50 Prozent der Kapazität erreicht werden, ist offen. Aus Wales und aus der Schweiz reisten nur ein paar hundert Fans an, aber für Petkovic ist es «ein Glück, dass Fans dabei sind und für eine gute Atmosphäre sorgen werden». Um den Rasen im Stadion zu schonen, blieb die Schweizer Mannschaft für das Abschlusstraining auf ihrem Trainingsgelände am Meer im Nordosten der Stadt. Dabei hat Petkovic festgestellt, dass das Team «etwas gesteigerte Nervosität» gezeigt hat. «Die Spieler können den Anpfiff kaum erwarten.»
Diese Art der Aufregung soll dann aber nichts Negatives sein. Sorgen vor dem EM-Start? Nicht bei Captain Xhaka. «Wir haben grossen Respekt vor Wales. Aber wir sehen keine Gefahren. Wir haben enorme Qualität und viel Erfahrung. Unsere Erwartungen sind hoch. Wir wollen Geschichte schreiben.»
Superstar Gareth Bale gilt bei Wales als grösste Quelle für Unannehmlichkeiten für das Schweizer Team. Petkovic ordnet trotzdem keine Sonderbewachung an für den Stürmer von Tottenham Hotspur. «Wir konzentrieren uns nicht alleine auf ihn. Das haben wir früher bei anderen Teams mit Stars auch nie gemacht. Wales hat bewiesen, dass es vor allem als Team viel erreichen kann.»
Die Briten sind der Aussenseiter der Gruppe A. Eine Rolle, die ihnen behagt: 2016 stiessen sie als Underdog in die Halbfinals vor. Gut 24 Stunden vor dem Duell mit der Schweiz gaben sich die walisischen Protagonisten entspannt. Trainer Robert Page schwärmte von der Atmosphäre im Hotel, das im Gegensatz zu demjenigen der Schweizer mitten im Zentrum Bakus liegt. Dem emsigen Treiben in der Innenstadt bleiben die Waliser aufgrund des strikten Bubble-Systems zwar fern, die Stimmung innerhalb des Teams sei aber dennoch ausgezeichnet. «Die Jungs vergnügen sich in ihrer Freizeit am Pool, mit der Playstation, mit Tischtennis oder Karten spielen», sagte Page.
Zur guten Stimmung trägt auch die Personalsituation bei, zum Turnierauftakt gegen die Schweiz wird auch Aaron Ramsey an Bord sein. Der Mittelfeldspieler von Juventus Turin und ehemalige Teamkollege von Granit Xhaka bei Arsenal, der zuletzt immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hatte, war nach dem letzten Test gegen Albanien (0:0) angeschlagen und verzichtete am Donnerstag auf die Trainingseinheit. «Aaron ist bereit, alle 26 Spieler sind fit», sagte Page.
Ramsey gehört wie Bale zu den Routiniers der Mannschaft, die eine gute Mischung aus jung und alt aufweist. Dass Wales erneut als Aussenseiter antreten kann, kommt dem Captain gelegen, lässt ihn aber ebenso kalt wie die gestiegenen Erwartungen in der Heimat nach dem Coup von 2016. «Entscheidend ist, was wir auf dem Platz zeigen», sagte Bale. «Wir haben nun ein anderes Team, es ist ein anderes Turnier.»
Nur die Einstellung sei dieselbe wie vor fünf Jahren: «Wir nehmen Spiel für Spiel», so Bale, der von einer kniffligen Ausgangslage sprach. Es sei eine «sehr, sehr schwierige Gruppe», in der es keinen klaren Favoriten gebe. «Wir kennen die Qualitäten von Italien, einer der grossen Nationen der Geschichte. Die Schweiz ist ein Team aus den Top Ten und die Türkei hat im letzten Jahr bewiesen, dass sie immer wieder Grosse schlagen kann.» Für Wales bleibt daher nur die Rolle des Aussenseiters – oder des Spielverderbers.
Schweiz: 1 Sommer; 4 Elvedi, 22 Schär, 5 Akanji; 3 Widmer, 8 Freuler, 10 Xhaka, 13 Rodriguez; 23 Shaqiri; 7 Embolo, 9 Seferovic.
Wales: 12 Ward; 22 Mepham, 6 Rodon, 4 Ben Davies; 3 Neco Williams, 7 Allen, 10 Ramsey, 14 Connor Roberts, 8 Wilson; 20 James, 11 Bale. (ram/sda)